Donnerstag, 8. Oktober 2020

Ist die Stadt tanzbar? Aber so was von!

Eine Frage, die mich beim Contact-Improvisation-Tanzen begleitet ist "Was mache ich hier überhaupt?"

Um diese Frage herum kreisen viele andere Fragen. Zum Beispiel: "Wie beeinflusst der Raum den Tanz?" 

Ich habe nichts gegen das Studio Freitänzer, das Lachdach, das Freie Musikzentrum oder die anderen Orte, an denen Contact Improvisation stattfindet, ganz im Gegenteil. Mir gefällt's dort. Aber ich bin misstrauisch. Nur weil ein Ort passt und vorgibt für etwas gemacht zu sein (in einem Tanzstudio wird getanzt. Klingt einleuchtend...) muss das ja noch lange nicht heißen, dass es keine anderen oder vielleicht sogar bessere/spannendere/lehrreichere Orte gibt. Ich fürchte, dass es verführerisch ist, sich in ein geschütztes Nest zu begeben und sich dort schön einzuiegeln. Das will ich nicht. Ich will flügge werden und auch mal auf den Schnabel fallen.

Deshalb war Ausgabe 2 der Contact Improvisation Werkstatt am 08.10.2020 dem Thema "Tanzen im öffentlichen Raum" gewidmet.
10 Minuten bevor es offiziell losgehen sollte, hatte ich das Gefühl, dass außer mir keiner kommen würde und so war es dann auch. Schade eigentlich, denn mit jemand anderem zu tanzen, hätte dem Experiment noch eine ganz andere Dimension gegeben, aber so war es auch in Ordnung. So hab ich halt allein mit der Stadt getanzt.


Diana-Tempel im Hofgarten

Ich muss gleich kleinlaut zugeben, dass "mit der Stadt" tanzen schon ziemlich großkotzig ist. Ich habe angefangen mit einzelnen Orten zu tanzen. Mit dem Diana-Tempel zum Beispiel. Meine Schuhe kratzten über den Boden, Leute, die normalerweise einfach quer unter der Kuppel durchgelatscht wären, haben einen Bogen darum herum gemacht. Es ist nur eine Nebensächlichkeit, aber indem ich dort getanzt habe, habe ich den Raum ein wenig verändert. Ich würde nicht behaupten, dass ich ihn mir zu eigen gemacht habe, aber ich habe ihn auch nicht anderen überlassen.

Überhaupt die anderen und ihr Raum: Bürgersteige sind dazu da von A nach B zu kommen oder in Schaufenster zu schauen. Parkbänke sind zum herumsitzen. Straßen sind für die Bewegung von Fahrzeugen. Aber Tempel von Gottheiten, die seit Jahrhunderten nicht mehr verehrt werden? Offensichtlich sind sie als Kulisse da. Als optische Marker für die nicht abreißenden Momentaufnahmen in den Handys der Touristen. Dort zu tanzen ist nicht ganz so abwegig wie die Göttin Diana anzubeten, aber auch nicht weit davon entfernt. Und wer sagt denn, dass ein Tanz keine Anbetung der Jagd-Göttin sein kann? Ich hab immer noch lauter Fragen im Kopf und weiß nicht so recht, wo ich eigentlich getanzt habe, als ich dort getanzt habe.

Zur Qualität des Tanzes kann ich nur sagen, dass ich mehrere Anläufe gebraucht habe um mich wohl zu fühlen. Wenn ich nochmal mit anderen dort tanze (ja, du bist herzlich dazu eingeladen), werde ich einen Besen mitnehmen um den Boden vorzubereiten. Aber so lange man keine Angst vor ein wenig Dreck, ein wenig Wind und ein wenig Kälte hat, lässt es sich dort wunderbar aushalten. Bänke am Rand, die Stadt im Blick, sogar eine Uhr. Fast wie in einem Übungsraum.


Kriegerdenkmal im Hofgarten

Ich war schon ein paar Mal im Hofgarten, das Kriegerdenkmal hab ich aber noch nie vorher bemerkt. Man steigt einige Stufen hinunter in ein rechteckiges Becken, in dessen Mitte mehrere Steinblöcke wie ein Dolmen über der Statue eines liegenden Soldaten aufgeschichtet sind. Auf der einen Seite sieht man die oberen Stockwerke der Bayerischen Staatskanzlei über den Rand der Mauer, ansonsten ringsum nur ein wenig Botanik und den Himmel. Man hört die Welt um sich herum, sieht aber nicht viel davon. Und die Mitte wird dominiert von der schattigen Senke mit der Erinnerung an das Grauen des Krieges.

Für einen melancholischen Solotanz genau richtig, aber als Gruppe, die mehr auf getanzte Lebensfreude aus ist, würde ich da nicht unbedingt hingehen. Trotzdem: Irgendetwas an diesem Ort hat mich angesprochen. Es ist sofort ein Tanz entstanden.


Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Altstadtring-Tunnel

Ich musste gar nicht nach Orten suchen, die tanzbar waren. Die Münchner Innenstadt ist voll von Hinterhöfen, Arkaden, Durchgängen, Nischen. Man findet hier immer was, auch wenn es regnet. Keine 200 Meter vom Trubel des Odeonsplatz/der Ludwigstraße entfernt, ist die Stadt teilweise richtig verlassen. Hier gibt es nur noch schnelle Menschen, die von A nach B wollen und einsame Tänzer nicht mehr als mit einem scheelen Seitenblick schenken.

Im Altstadtring-Tunnel bin ich schon mal für ein Kunstprojekt in einer Metallröhre gelegen, die mit einer Flex bearbeitet wurde. Deshalb lag er als fest eingeplante Station auf meinem Weg. Der Boden ist zwar nicht sehr gemütlich, aber zum Tanzen ist hier jede Menge Platz. Irgendwas hat dieser Tunnel. Vielleicht ist es seine Breite oder die leichte Steigung. Oder der erhöhten Rand, der wie eine Bank für Zuschauer wirkt. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Tunnel so sauber wirkt. Wie eine Galerie des Nichts und der verstreichenden Zeit, die man irgendwie zu füllen versuchen muss.



Nachtrag: Hier nicht stehen

Am nächsten Morgen auf dem Weg zur Arbeit komme ich in "Eine berührbare Welt" von Heike Pourian (https://beruehrbarewelt.de/#slide4) zufällig bei einem Kapitel über Tanzen im öffentlichen Raum an. Für mich hat sich die Frage, ob man das als Contact-Improvisation-Tänzer machen sollte, gar nicht gestellt. Die Möglichkeit zum Ausprobieren ist, da, warum sollte man sie also nicht ausprobieren?

Und dann: 30 Sekunden bis meine S-Bahn kommt. Ich gehe ganz nach hinten um dort einzusteigen, wo ich beim Aussteigen genau da rauskomme, wo ich rauskommen möchte. Und bleibe stehen. Die Bahnsteigaufsicht sagt mir, dass dieser Bereich nur zum Laufen da ist, nicht zum Stehen. Mein kindischer Widerspruchsgeist springt darauf an und ich laufe die 5 Sekunden, bis meine S-Bahn einfährt und stehen bleibt, hin und her.

Ich habe mich danach ein wenig schuldig dafür gefühlt. Ich verstehe warum es den markierten Bereich gibt, in dem man nicht stehen bleiben soll. Bei großer Auslastung würde es hier zu einem Gedränge kommen. Aber der Bahnsteig war leer, also habe ich mich eigenmächtig darüber hinweggesetzt. Die arme Bahnsteigaufsicht ist sich wahrscheinlich auch noch verarscht vorgekommen. Aber ich konnte einfach nicht anders ...

Im Wasser tanzen

 Das richtige Equipment ist wichtig: Dichte Schwimmbrille oder besser Tauchermaske, die auch die Nase bedeckt, Nasenklammer oder zur Not auc...